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WissensWandel für Archive

Dr. Joachim Kemper ist Leiter des Stadt- und Stiftsarchiv Aschaffenburg und engagiert sich seit langem für mehr Digitalisierung in Bibliotheken, Archiven und Museen. Als Vorreiter im Kulturmanagement sucht er nach neuen Wegen, um diese Kulturinstitionen in die digitale Stadtgesellschaft zu führen.

Herr Dr. Kemper, Archive sind wichtige Wissenspeicher. Bisher sind sie aber häufig nur für Fachleute zugänglich. Wieso muss sich das Ihrer Meinung nach ändern?

Archive haben wegen der kommunalen Dokumentationspflicht eine Art Existenzgarantie. Im Gegensatz zu Museen oder Bibliotheken müssen sie sich an keinem „Markt" behaupten. Ihre primäre Aufgabe ist die Verwaltung von Dokumenten und Informationen, der Zugang ist daher eben meist auf diejenigen beschränkt, die beruflich oder wissenschaftlich mit den Inhalten arbeiten.

Es gibt ja auch gute Gründe, Archive nicht direkt jedem physisch zugänglich zu machen: Dokumente können anfällig sein und manche sind inhaltlich besonders sensibel. Daher sehe ich gerade in der Öffnung über digitale Kanäle enorme Chancen, diese wertvollen Wissenspeicher auch einem größeren Publikum zur Verfügung zu stellen. Öffnung heisst vor allem Demokratisierung von Wissen und mehr Transparenz. Wie und unter welchen Bedingungen wurden z.B. in der Vergangenheit bestimmte Entscheidungen getroffen? Was können wir heute daraus lernen? Aus Archivmaterial lassen sich dazu viele Antworten erarbeiten.

Müssen Archive mit dem Thema Outreach auch ihren Aufgabenbereich erweitern?

Das Bewerten der Qualität von Informationen ist für uns alle eine tagtägliche Aufgabe – vielleicht wird sie sogar zu einer der wichtigsten Aufgaben unserer Gesellschaft. Das ist genau das, was Archive heute zusätzlich leisten könnten: Der Zugang zu Archiven muss auch Bildungseinrichtungen wie Schulen, Universitäten und Forschungsinstituten zugutekommen. Der richtige Umgang mit Primärquellen und deren Interpretation sollte oben auf der Agenda einer galoppierenden Informationsgesellschaft stehen.

Archive können qualitativ hochwertige Bildung fördern und zur Weiterentwicklung des Wissens beitragen. Wenn wir es spielerisch angehen, können wir vielleicht sogar Gruppen erreichen, die vorher nicht einmal wussten, dass es Archive gibt. Das Digitale bietet dabei enorm viele Möglichkeit. Der Umfang der von „WissensWandel" geförderten Projekte gibt da einen guten Überblick.

Sie gehen den Weg der Öffnung in Aschaffenburg konsequent und mit mehreren Projekten. Auf welche Resonanz stossen Sie?

Im Rahmen des Förderprogramms „WissensWandel" konnten wir bereits in der ersten Förderphase (2021) ein Projekt erfolgreich beantragen. Daraus ist der Aschaffenburger Digitalladen als digital-analoger Schnittstelle zur Stadtgesellschaft entstanden. Offensichtlich wird unsere dialogorientierte Digitalstrategie überregional und bundesweit beachtet. Dialog Romantik steht beispielhaft für unsere Idee einer Dialog City, die für die Menschen da ist und die digitale mit der analogen Welt verbindet. 

Immerhin haben Claudia Roth, Staatsministerin für Kultur und Medien, und der für das Programm zuständige Deutsche Bibliotheksverband einen Abschlussbericht vorgelegt, in dem ausgewählte Projekte exemplarisch präsentiert werden. Unser Projekt „Dialog Romantik“ wird dabei besonders hervorgehoben. 

Die Resonance ist auch darüber hinaus groß. Viele Lehrer:innen wollen die neue Welt kennen lernen, benötigen aber auch selber noch Unterstützung, um dieses neue Lernumfeld sinnvoll in ihren Lernplan zu integrieren. Vor allem der fachübergreifende Ansatz unterstützt wohl die Vermittlungsarbeit.

Kann die Umsetzung von Dialog Romantik auch für andere Archive oder Bibliotheken wegweisend sein?

Mit der virtuellen Wissenslandschaft Dialog Romantik haben wir einige Archivalien aus dem Nachlass der Brentano-Familie öffentlich gemacht, die bisher nur im Archiv zu sehen waren. Eine Totenmaske, eine Elfenbeinkrippe, einige gerahmte Bilder und ein goldenes Notizbuch. Bisher gab es keine praktikable Möglichkeit, diese Kulturschätze zu zeigen und in einen auch für junge Leute spannenden Kontext zu bringen. Mit der VR-Umgebung ist uns das nun gelungen. Wir haben daraus eine Mischung aus virtueller Ausstellung, Workshop-Umgebung, Wissenslandschaft mit Lernpfaden für Einzel- und Gruppenaufgaben und themenübergreifender Medienshow gemacht. Die Möglichkeiten sind wirklich kaum begrenzt. Daher bin ich sicher, dass andere Archive ebenfalls ihre eigene Wissenswelt inszenieren können.

Wie aufwendig ist es für Archive, mit eigenen Projekten in die VR/AR Welt zu starten?

An der Umsetzung mit tuijo hat uns vor allem überzeugt, dass hier Teilnehmer:innen mit eigenem Kamera-Bild in Dialog treten und sich im 3D Raum bewegen können. Das bleibt persönlich und schafft Raum für authentischen Dialog. Zusätzlich schliessen die technischen Voraussetzungen niemanden aus, eine VR-Brille wird zum Beispiel nicht benötigt. Das Projekt Dialog Romantik wurde mit rund 114 TEUR im Rahmen des Bundesprogrammes „WissensWandel" gefördert. Das ist natürlich ein toller Budgetrahmen. Man wird aber sicherlich erste Erfahrungen mit virtuellen Umgebungen auch in kleinerem Rahmen sammeln können. Dialog Romantik ist ja doch recht umfangreich.